Zukunft der Eurozone: Fünf Lehren aus der Griechenlandkrise Eine Analyse von Henrik Müller


Griechischer Finanzminister Tsakalotos (r., sitzend), Europartner, IWF-Chefin Lagarde: Schwierige Verhandlungen in Brüssel

Griechischer Finanzminister Tsakalotos (r., sitzend), Europartner, IWF-Chefin Lagarde: Schwierige Verhandlungen in Brüssel
Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg: Das aktuelle Griechenland-Zerwürfnis offenbart, wie verfahren die Lage in Europa ist. Höchste Zeit, die neue, triste Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und den Schaden einzudämmen.
 Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und den Schaden einzudämmen.
 
Was als Griechenlandkrise begann, hat sich zu einer umfassenden Vertrauenskrise der EU zugespitzt. Die europäischen Regierungen sind nicht mehr in der Lage, sich zu einigen. Binnen wenigen Tagen ist ein Scherbenhaufen entstanden, aus dem sich nur schwer eine neue Konstruktion zusammensetzen lässt. (Verfolgen Sie hier die Verhandlungen in Brüssel im Newsblog.)
Dies ist ein historischer Wendepunkt. Jetzt rächt sich, dass die Eurozone seit mehr als fünf Jahren ihre Konstruktionsfehler, ihre ökonomischen und sozialen Probleme leugnet, statt sie systematisch anzugehen. Insbesondere ist auch Angela Merkels Euro-Strategie gescheitert. Die Kanzlerin hat zwar immer wieder davon gesprochen, dass Europa scheitert, wenn der Euro scheitert, und dass deshalb "mehr Europa" die Lösung sein müsse - aber dann hat sie doch eine Renationalisierung der Politik vorangetrieben. Für Illusionen ist kein Platz. Zu deutlich sind in den vergangenen Wochen Risse zutage getreten, die sich nun zu offenen Brüchen weiten. Der ökonomische Zusammenbruch Griechenlands und der offene politische Streit haben bleibende Schäden hinterlassen. Allseitiges Misstrauen ist eingezogen im Euro-Staatenbund, einer Konstruktion, die auf Vertrauen, Kompromiss und Kooperation fußt - und die deshalb nun wie gelähmt ist.
Die Umrisse einer neuen Unordnung zeichnen sich ab. Wir sind mit neuen Realitäten konfrontiert - politisch, wirtschaftlich, strategisch.
  • Mario Draghi allein kann den Euro nicht retten. Bislang galt als sicher, dass die Eurozone am Ende von der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammengehalten wird. So wie es der EZB-Chef vor drei Jahren versprochen hatte. Nun zeigt sich, dass die Notenbank allein die Währungsunion auf Dauer nicht zu stabilisieren vermag. Draghi hat der Politik Zeit gekauft, aber die hat es versäumt, dauerhaft stabile Strukturen einzuziehen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, inwieweit die EZB hochverschuldeten Volkswirtschaften wie Portugal, Spanien oder Italien unter den neuen Bedingungen noch helfen kann. (Achten Sie Donnerstag auf die Sitzung des EZB-Rats und Draghis anschließende Pressekonferenz.)
  • Die Bürger der Krisenländer verlieren die Geduld. Nicht nur in Griechenland, auch in Spanien oder Italien breitet sich Hoffnungslosigkeit aus, gerade unter den Millionen arbeitslosen jungen Erwachsenen. Darin steckt politische Sprengkraft: Nationen, die keine Hoffnung mehr haben, sind zu radikalen Schritten bereit. Hauptsache, es verändert sich irgendetwas. So könnte in Spanien im Herbst eine Links-links-Koalition bei den Wahlen an die Regierung kommen, die durchaus Sympathien für die griechische Syriza erkennen lässt. Der bisherige Kurs zu mehr Wettbewerbsfähigkeit ist gefährdet.
  • Die Bevölkerungen im Norden sind verärgert. In Deutschland sprechen sich seit Wochen in Umfragen Mehrheiten für den Euro-Austritt Griechenlands aus. Entsprechend wächst die Opposition gegen die bisherige Euro-Hilfenpolitik innerhalb der Unionsfraktion im Bundestag. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der ab Dienstag in China unterwegs ist, hat seinen Ton deutlich verschärft. Anderswo ist die Stimmung ähnlich: In Finnland oder in den Niederlanden treiben Rechtspopulisten die Regierungen vor sich her. Die Folge: Für die Regierungen der finanzstarken Nordländer wird es innenpolitisch immer schwieriger, sich mit den bedrängten Südländern auf Kompromisse einzulassen.
  • Die neuen Mitglieder im Osten stellen den Rettungsschirm infrage. Die vergleichsweise armen osteuropäischen Mitgliedstaaten sind zwar, wie alle übrigen, dem Euro-Rettungsschirm beigetreten. Dass aber die baltischen Länder, Slowenien und die Slowakei finanzielle Risiken für wohlhabendere Altmitglieder übernehmen sollen, ist alles andere als selbstverständlich, wie diverse Äußerungen von osteuropäischen Regierenden gezeigt haben. Damit ist das Funktionieren des Euro-Rettungsschirms ESM - der auf dem Prinzip des Konsens aller Eurostaaten basiert - nicht mehr gesichert.
  • Deutschland und Frankreich können sich in entscheidenden Fragen nicht mehr einigen. Die Grundkonstante der europäischen Integration - das Einvernehmen zwischen Paris und Berlin - hat schwer gelitten. Während in den vergangenen Wochen ein Zerfall der Eurozone immer wahrscheinlicher wurde, ließ Berlin die Dinge treiben. Als Alexis Tsipras ein Referendum über die Sparmaßnahmen ankündigte, verlegte sich die mächtigste Regierung Europas aufs Abwarten. Frankreichs Präsident François Hollande hingegen versuchte diese Woche die Initiative zu übernehmen: Pariser Beamte halfen der Syriza-Regierung, einen formvollendeten Antrag pünktlich in Brüssel einzureichen; Hollande selbst lobte dieses Papier dann vehement. Wolfgang Schäubles Finanzministerium reagierte verschnupft - und entwarf seinerseits Pläne für einen Euro-Ausstieg Griechenlands, die gestern an die Öffentlichkeit durchsickerten. Es passierte, was in Europa nicht passieren darf: Deutschland und Frankreich stehen sich in gegnerischen Lagern gegenüber. Eine Grundkonstante der europäischen Einigung könnte dauerhaft beschädigt sein.
Dies ist die aktuelle Lage: trist. Europas Erscheinungsbild im Rest der Welt: hässlich. Die Aussichten: trübe. Was jetzt?
Europa kann nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren. Die Eurozone darf sich bei ihren Finanzministertreffen Montag und Dienstag nicht auf unmittelbares Krisenmanagement beschränken; großzügige humanitäre Hilfen für Griechenland und technische Unterstützung sollten selbstverständlich sein. Gefordert ist jetzt ein starkes Signal der Regierungen, dass sie unverbrüchlich zusammenstehen - etwa in Form einer feierlichen Erklärung, endlich die Eurozone in Richtung Föderalisierung auszubauen. Ideen dafür liegen seit Langem vor.
Natürlich, dieser Kurs ist nicht alternativlos. Aber alle anderen Optionen würden geradewegs in die Selbstzerlegung des Kontinents führen. Um eine Merkel-Phrase umzukehren: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche MONTAG
BRÜSSEL- Was nun, Herr Schäuble? - Treffen der Finanzminister der Eurogruppe
BERLIN - Wundenlecken, Schuldzuweisungen - Die Vorstände der im Bundestag vertretenen Parteien tagen. Dominierendes Thema: Europas Zukunft.
ATHEN - Besuch beim Musterschüler - Bundespräsident Joachim Gauck besucht Irland. Ein Krisenland, das als kuriert gilt - aber unter einer Gesamtverschuldung ächzt, die deutlich größer ist als Griechenlands.
NEW YORK - Karibische Parallelen - Das überschuldete US-Territorium Puerto Rico verhandelt mit seinen Gläubigern über Umschuldung von 72 Milliarden Dollar und Verlängerung von Rückzahlungsfristen.
BRÜSSEL - Business as usual - Start der 10. Verhandlungsrunde zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP.
DIENSTAG
BRÜSSEL - Ein Thema: Griechenland - Wie geht es weiter mit Griechenland? Wie lassen sich die weiteren Folgen eindämmen? Die EU-Finanzminister (Ecofin) haben viel zu besprechen.
PEKING - Belehrungen in Fernost - Bundeswirtschaftsminister Gabriel besucht China. Zur Euro-Krise wird er sich von seinen Gesprächspartnern einiges anhören müssen.
MÜNCHEN - Anklage-Bank - Ein weiterer Verhandlungstag im Prozess gegen Deutsche-Bank-Co-Chef Fitschen, seine Vorgänger Ackermann und Breuer sowie zwei weitere Ex-Vorstände wegen versuchten Prozessbetrugs.
MITTWOCH
TOKIO - Viele Handvoll Yen - Die Bank von Japan entscheidet über die weitere Geldpolitik.
PEKING - Trudelnde Weltwirtschaftsmacht - In Zeiten des Börsencrashs legt China neue Zahlen zum Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal vor.
DONNERSTAG
FRANKFURT - Alle Blicke auf Draghi - EZB-Ratssitzung der Europäischen Zentralbank: Was wird jetzt aus der Ankündigung des EZB-Chefs, die Eurozone mit allen Mitteln zusammenzuhalten?
MOUNTAIN VIEW/NEW YORK - Berichtssaison I - Quartalszahlen von Google, Blackstone, Goldman Sachs und Citigroup. FREITAG
SHENYANG - Und Abflug - Abschlusstag des China-Besuchs von Bundeswirtschaftsminister Gabriel
STOCKHOLM/FAIRFIELD/MORIS TOWNSHIP - Berichtssaison II - Volvo und Ericsson legen Quartalszahlen vor, ebenso General Electric und Honeywell.

Der Spiegel 
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